Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 10.11.2001, Nr. 262, S. 8
Den
Sumpf trockenlegen
Peter Ustinov richtet Lehrstuhl gegen Vorurteile ein / Von
Carola Kaps
BUDAPEST,
9. November. Wer achtzig Jahre alt geworden ist, macht sich
Gedanken über sein Vermächtnis. So auch der zweifache
Oscar-Preisträger und langjährige Unicef-Botschafter
Sir Peter Ustinov, der sein Lebenswerk in diesen Tagen mit
der Einrichtung eines Lehrstuhls zur Vorurteilsforschung
an der Technischen Universität Budapest krönt.
Mit den schrecklichen Ereignissen des 11. September hat
Ustinovs Initiative zwar direkt nichts zu tun. Der Zeitpunkt
könnte dennoch nicht besser gewählt sein, gibt
es doch überall die Versuchung, ganze Bevölkerungsgruppen
zu beschuldigen und sie bewußt auszugrenzen. Er habe
schon als Kind empfunden, daß Vorurteile die schlimmsten
Verbrechen seien, die die Atmosphäre verschmutzten
und die Brunnen vergifteten, sagt Ustinov im Gespräch
mit dieser Zeitung.
Der
Künstler erzählt von seinen ersten Schultagen
in einer englischen Schule, in der den Sechsjährigen
die Vorurteile, die ihr Leben als Erwachsene eng und stumpf
machen, eingebleut wurden. Noch schlimmer sei es dann im
Militär gewesen. Schule, Kirche und Familie sind für
Ustinov Hochburgen des Vorurteils, in denen überlieferte
Meinungen und Traditionen weitergegeben werden, ohne sie
auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und immer wieder
zu hinterfragen. Solche Überlieferungen würden
dann zu tödlichen Waffen, wie die sinnlosen Taten der
islamischen Fundamentalisten oder die absurde Feindschaft
zwischen den angeblichen Katholiken und angeblichen Protestanten
in Nordirland Tag für Tag bewiesen. "Taliban,
Gauleiter, Prediger des heiligen Glaubenskrieges, die Verkünder
der Herrenrasse, sie alle kommen aus demselben Sumpf, sie
alle haben nie gelernt, selbständig zu denken und ihre
Talente richtig einzusetzen, sie alle gehen blind einem
frühen Tod entgegen." Der Lehrstuhl in Budapest,
den Professor József Veress vom Institut für
Wirtschaft einnehmen wird, soll nur der erste Knoten in
einem Netz sein, welches mit der Zeit alle Kontinente umspannen
soll. Andere Universitäten in Nordamerika, Osteuropa
und Asien haben bereits ihr Interesse für ähnliche
Einrichtungen bekundet. Vorerst soll jedoch während
der nächsten zwölf Monate in Budapest mit der
Hilfe zahlreicher internationaler Fachleute ein wissenschaftlicher
Lehrplan für ein sechssemestriges Studium ausgearbeitet
werden, damit zum Wintersemester 2002 die ersten Studenten
mit den Studien über Vorurteile und deren Bekämpfung
beginnen können.
Die
britische Universität Durham, deren "Chancellor"
Ustinov seit 1992 ist, wird dem neuen Projekt nicht nur
Unterstützung in der Entwicklung einer Internetseite
geben. Die Universität Durham wird auch dafür
sorgen, daß sich die Idee, das Phänomen der Vorurteile
als Studienfach zu lehren, auch international auf andere
Universitäten ausweitet. Ein Bestandteil sollen auch
Stipendien für ausländische Studenten sein. In
Durham ist der Anfang bereits mit jährlich zwanzig
ausländischen Studenten aus Osteuropa, Asien und dem
mittleren Osten gemacht. In diesem Jahr werden diese Stipendien
erstmals unter dem Namen "Peter- Ustinov-Stipendien"
laufen. "Klassen mit Ausländern sind nicht nur
viel interessanter, sie sind auch das beste Gegenmittel
gegen Vorurteile", sagt Ustinov. Die Erstausstattung
des Lehrstuhls wird über die Peter- Ustinov-Stiftung
finanziert und soll etwa 60 000 Mark im Semester kosten.
Für die Anschlußfinanzierung der nächsten
drei Jahre ist ein ungarischer Industrieller gewonnen worden;
die Hoffnung besteht, daß auch andere ungarische Unternehmer
Gefallen an dem Vorhaben finden und sich großzügig
beteiligen werden.
Ustinov,
dessen Sohn Igor die Hauptverantwortung für den Auf-
und Ausbau des Netzwerkes trägt, ist überrascht,
wie schnell sich Interessenten für sein Projekt gefunden
haben. Die Technische Universität Budapest habe sich
selbst angeboten, und er sei gerne nach Ungarn gekommen,
da das Land nicht nur an der Schnittstelle zwischen West
und Osteuropa liege, sondern selbst eine leidvolle, von
Vorurteilen geprägte Geschichte hinter sich habe. Auch
ein deutsches Engagement würde er begrüßen.
Wenn Sir Peter am 8. Dezember dem früheren Bundespräsidenten
Roman Herzog in Durham die Ehrendoktorwürde verleiht,
wird wohl das Thema "Kampf gegen die Vorurteile"
eine nicht unbedeutende Rolle spielen.
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